margot schmitt
 
 
 
 
 
 
 
 
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  projekte | private publicity | 2003 | work in progress zurück|bild  
 

Hundert Menschen, die ich kenne — flüchtig und kurz oder intensiv und seit langer Zeit — erlauben mir, ihre Gesichter zu fotografieren. Die Fotografierten bestimmen dabei Haltung und Ausdruck — das Wie ihres Auftritts in der Öffentlichkeit.

Statt einer Eins-zu-Eins-Übertragung — etwa durch Aufdrucken der Fotografie — werden die Portraits von Hand gemalt. Eigenwillige Interpretationen der fotografischen Vorlage stellen dabei ein gewolltes Risiko dar.

Diese aufwändige Methode, ganz im Sinne klassischer Portraitmalerei, stellt einen mich reizenden Kontrast zu dem Material der braunen Papiertüten dar: »Aufwertung« der abgebildeten Personen durch die Malerei, Wertschätzung ihrer Persönlichkeit und Individualität, das »Private« im Gegensatz zu dem öffentlichen, »billigen«, in Massen

 

produzierten, standardisierten Trägermaterial, dessen kurzes Leben üblicherweise in der Mülltonne endet.

Wird das »Billlige« in der Spähre der Kunst aufgewertet oder werden die Abgebildeten durch die Präsentation auf den Papiertüten »abgewertet?«. Was macht die Tüte mit der abgebildeten Person? Macht sie sie zur Marke? Steht die Tüte als Gefäß für Inhalt? Wenn ja, für welchen? Geht es um die abgebildete Person, ihre Persönlichkeit? Oder geht es um ein öffentliches, gesellschaftliches Thema? Etwa Masse und Individuum?

Die braune Papiertüte leitete historisch das soziale Phänomen des Kaufrausches ein, denn erst durch sie konnte man mehr einkaufen, als man ohne Tüten tragen konnte. Sie gilt als Inbegriff des Konsumwahns:
So präsentiert sich seit Jahren eines der größten New Yorker Kaufhäuser,

 

die Firma Bloomingdale, bewusst mit braunen Einkaufstüten aus Papier mit dem lapidaren Aufdruck »Big Brown Bag«.

Was dominiert: Das Individuum mit seinen Gefühlen, Bedürfnissen, Interessen oder der Konsument:
»I shop therefore I am«
(Ich kaufe, daher bin ich), wie es die US-amerikanische Künstlerin Barbara Kruger einst formulierte?

Oder taucht die Frage auf:
»Who am I, if I am not shopping? — wer bin ich, wenn ich nichts kaufe?«

Angesichts der um sich greifenden Gründungen von Ich-AG’s wären aber auch massenhaft produzierte Tüten des eigenen, handgemalten Portraits als Promotions-Kampagne — als »Private Publicity« denkbar.

Berlin, im Oktober 2003